Auf der Elektrischen

In München

von Ludwig Thoma

Ludwig Thoma
Auf der Elektrischen
 
In München. Der schwere Wagen poltert auf den Schienen; beim Anhalten gibt es einen Ruck, daß die stehenden .Passagiere durcheinander gerüttelt werden. Ein Schaffner ruft die Station aus. „Müliansplatz!“ Heißt eigentlich Maximiliansplatz. Aber der Schaffner hat Schmalzler geschnupft und kann die langen Namen nicht leiden. Ein Student steigt auf. Er trägt eine farbige Mütze, und der Schaffner salutiert militärisch. Er weiß: das zieht bei den Grünschnäbeln. Sie bilden sich darauf was ein. Und wenn sich Grünschnäbel geschmeichelt fühlen, geben sie Trinkgelder. Er ist Menschenkenner und hat sich nicht getäuscht. Der junge Herr mit der großen Lausallee gibt fünf Pfennige. Er sieht dabei den Schaffner nicht an; er sieht gleichgültig ins Leere, er zeigt, daß er dem Geschenke keine Bedeutung beimißt. Der Schaffner salutiert wieder.

       Wumml Prr! Der Wagen hält. „Deonsplatz!“ schreit der Schaffner. Heißt eigentlich Odeonsplatz. Eine Frau, die ein großes Federbett trägt, schiebt sich in den Wagen. Ein Sitzplatz ist noch frei. Die Frau zwängt sich zwischen zwei Herren. Sie stößt dem einen den Zylinder vom Kopfe. Das ärgert den Herrn. Er klemmt den Zwicker fester auf die Nase und blickt strafend auf das Weib. „Aber erlauben Sie!“ sagt er. - ?! - „Aber erlauben Sie, mit einem solchen Bett!“ Die Leute im Wagen werden aufmerksam. Der Mann scheint ein Norddeutscher zu sein; der Sprache nach zu schließen. Ein besserer Herr, der Kleidung nach zu schließen. Was fällt ihm ein, die arme Frau aus dem Volke zu beleidigen? Ein dicker Mann, dessen grünen Hut ein Gemsbart ziert, verleiht der allgemeinen Stimmung Ausdruck. „Warum soll denn dös arme Weiberl net da herin sitzen? Soll's vielleicht draußen bleib´n und frier'n? Bloß weil's dem nobligen Herrn net recht is? Wenn ma so noblig is, fahrt ma halt mit da Droschken!“ Der dicke Mann ist erregt. Der Gemsbart auf seinem Hute zittert. Einige Passagiere nicken ihm beifällig zu; andere murmeln ihre Zustimmung. Ein Arbeiter sagt: „Uberhaupt is de Tramway für an jed'n da. Net wahr? Und dem Frau ihr Zehnerl is vielleicht g´rad so guat, net wahr, als wia dem Herrn sei Zehnerl“. Die Frau mit dem Bett sieht recht gekränkt aus. Sie schweigt; sie will nicht reden; sie weiß schon, daß arme Leute immer unterdrückt werden. Sie schnupft ein paarmal auf und setzt sich zurecht. Dabei fährt sie mit dem Bette ihrem anderen Nachbarn ins Gesicht.

       Der stößt das Bett unsanft weg und redet in soliden Baßtönen: „Sie, mit Eahnan dreckigen Bett brauchen S' mir fei´s Maul net abwisch´n! Glauben S' vielleicht, Sie müassen's mir unta d' Nasen halt'n, weil S' as jetzt aus'm Versatzamt g´holt haınm?“ Die Passagiere horchen. auf. Da ist noch einer, der die Frau aus dem Volke beleidigt; aber wie es scheint, ein süddeutscher Landsmann. Die Stimmung richtet sich nicht gegen ihn. Übrigens sieht er so aus, als wenn ihm das gleichgültig sein könnte. Er hat etwas Gesundes an sich, etwas Robustes, Hinausschmeißerisches. Er imponiert sogar dem Herrn mit dem grünen Hute. Und dann, alle haben es gesehen: Die Frau ist ihm wirklich mit dem Federbette über das Gesicht gefahren. So etwas tut man nicht. Der Mann selbst ist noch nicht fertig mit seiner Entrüstung. Er wirft einen sehr unfreundlichen Blick auf die Frau aus dem Volke und einen sehr verächtlichen Blick auf das Bett. Er sagt: „Überhaupt is dös a Frechheit gegen die Leut', mit so an Bett do rei´geh'. Wer woaß denn, wer in dem Bett g'leg´n is? Vielleicht a Kranker; und mir fahren S' ins G'sicht damit! Sie ausg'schamte Person!“ Einige murmeln beifällig. Der Mann mit dem grünen Hute gerät wieder in Zorn. Er sagt: „Der Herr hat ganz recht. Mit so an Bett geht ma net in a Tramway. Da kunnten ja mir alle o´g`steckt wern. Heuntzutag, wo´s so viel Bazüllen gibt!“ Der Gemsbart auf seinem Hute zittert. Alle Passagiere sind jetzt wütend über die Unverschämtheit der Frau. Man ruft den Schaffner. „De muaß außi!“ sagt der Mann mit dem Gemsbart, „und überhaupts, wia könna denn Sie de Frau da einaschiab´n? Muaß ma si vielleicht dös g´fallen lassen bei der Tramway? Daß de Bazüllen im Wag´n umanandfliag´n?“ Der Schaffner trifft die Entscheidung, daß die Frau sich auf die vordere Plattform stellen muß. Sie verläßt ihren Platz und geht hinaus. „Dös war amal a freche Person!“ sagt der Mann mit dem Gemsbart. 
 
       Der Herr mit dem Zwicker meint: „Eigentlich war sie ganz anständig. Nur mit dem Bette…“ „Was?!“ schreit sein robuster Nachbar. „Sie woll´n vielleicht dös Weibsbild in Schutz nehma? Gengan S' außi dazua, wann´s Eahna so guat g´falltI“ Alle murmeln beifällig. Und der Arbeite: sagt: „Da siecht ma halt wieda de Preißenl!“

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